Sandt: Prostitution muss raus aus der Illegalität

Die Corona-Pandemie hat den Prostituierten in Bayern schwer zugesetzt. Aufgrund von Bordell-Schließungen gehen Experten davon aus, dass die Corona-Auflagen etliche Prostituierte in die Illegalität getrieben haben. Die sozialpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion Bayern, Julika Sandt, ist überzeugt: Illegalität verstärkt die Gefahr sexueller Ausbeutung. Um gegen Menschenhandel vorzugehen und gleichzeitig die Selbstbestimmung von Prostituierten zu stärken, müsse das Thema raus aus der Tabu-Ecke. Sandt schlägt ein ganzes Maßnahmenpaket vor, um die Situation der Frauen und auch Männer, die im Milieu arbeiten, zu verbessern.

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Die stellvertretende Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bayerischen Landtag und Sprecherin für  Sprecherin für Arbeit, Soziales, Familie, Frauen, Jugend und Menschen mit Behinderung, Julika Sandt.

Schätzungen zufolge gibt es im Freistaat rund 15.000 Prostituierte, offiziell angemeldet sind derzeit aufgrund der langandauernden Corona-Auflagen nur etwa 4.000. Wie es den Sexarbeiterinnen und -arbeitern im Freistaat allerdings wirklich geht, ist schwer zu sagen. Die Daten dazu – insbesondere zur Corona-Zeit – fehlen. Die zwei Pandemie-Jahre haben im Milieu zu Verwerfungen geführt. Viele Prostituierte sind aufgrund der Bordell-Schließungen in Länder mit weniger restriktiven Auflagen abgewandert, andere bieten ihre Dienste irgendwo per Internet an. „Da Sexarbeit während der Pandemie besonders lange verboten war, haben sich viele Prostituierte zurückgezogen. Expertinnen gehen davon aus, dass die meisten seither illegal arbeiten. Wer solche Verbote verhängt, muss sich der Konsequenzen bewusst sein“, erklärt Julika Sandt, sozialpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion.

Nachdem auf ihre Initiative hin im Bayerischen Landtag eine Expertenanhörung zur Situation der Prostituierten stattfand, wollte sich die Politikerin ein eigenes Bild machen. In Nürnberg besuchte sie einen Bordell-Club, ein Bordell an der Nürnberger Frauentormauer und ein Studio einer Frau, die unter anderem als Domina arbeitet. „Als Liberale setze ich mich für Selbstbestimmung ein. Das gilt selbstredend auch für Frauen und Männer, die im Rotlicht-Milieu arbeiten. Sie müssen vor Ausbeutung geschützt werden und frei entscheiden, was sie tun. Ich will verhindern, dass Prostitution illegal stattfindet, weil Illegalität ein Hebel für sexuelle Ausbeutung ist“, sagt die Politikerin.

Für Sandt waren die Einblicke in die verschiedenen Bereiche des Milieus sehr aufschlussreich. Nur wer mit Betroffenen rede, könne sich ein authentisches Bild von der aktuellen Situation machen. Ein sehr offenes und berührendes Gespräch habe sie in einem Keller-Studio mit einer Frau geführt, die in ihrer jahrzehntelangen Arbeit immer wieder in neue Rollen schlüpft und spezielle Wünsche erfüllt. „Ich habe mit ihr aber nicht über die Wünsche ihrer Kunden gesprochen, sondern über ihre persönlichen Wünsche. Vor allem will sie nicht länger stigmatisiert werden. Ich habe eine sehr starke, selbstbestimmte Persönlichkeit kennengelernt. Sie und die anderen Frauen und Männer aus der Branche verdienen Respekt, Sicherheit und ein Leben ohne Stigmatisierung.“

Um die Situation von Sexarbeitenden zu verbessern, stellt Sandt zehn konkrete Forderungen: 

  1. Um die gesamte Debatte um die Sexarbeit zu versachlichen, soll der Freistaat wissenschaftliche Untersuchungen in Auftrag geben, beispielsweise auch dazu, wie sich die Corona-Einschränkungen und das damit verbundene Arbeitsverbot auf die Verschiebungen in die Illegalität ausgewirkt haben. 
  2. Vereinfachung und Verbesserung der Regelungen für selbstständige Sexarbeitende, damit diese auch mit Kolleginnen legal in selbst angemieteten Wohnungen arbeiten können ohne die gleichen Auflagen wie die Betreiber großer Bordelle erfüllen zu müssen.
  3. Ausbau der Fachberatungsstellen für Prostituierte in allen bayerischen Bezirken. Bisher gibt es nur je eine in München und in Nürnberg. Das reicht bei Weitem nicht aus.
  4. Deutliche Stärkung der beruflichen Neuorientierung von Prostituierten. Jeder, der aussteigen möchte, soll eine umfassende Beratung und Begleitung erhalten. Dazu gehören Sprachkurse, Weiterbildungen, Praktika, Arbeitsvermittlung, Wohnungsvermittlung, Schuldnerberatung, Suchtberatung, psychosoziale Beratung usw. Bisher ist alles mehr oder weniger nur durch Spenden gefördert oder über Projekte.
  5. Da viele Prostituierte keine Krankenversicherung haben, wollen wir ein Netz aus kostenfreier gesundheitlicher Versorgung aufbauen.
  6. Die verpflichtende Anmeldung und die regelmäßige gesundheitliche Beratung sollen kostenfrei werden. Bisher kostet beides Geld. Wenn man es nicht ausgibt, drohen Bußgelder von 1.000 Euro und mehr. Das führt zu Verschuldung und wiederum zu Abhängigkeiten. 
  7. Der Schutz vor Menschenhandel und Zwangsprostitution muss ausgebaut werden – durch bessere Prävention (beispielsweise zur Lover-Boy-Masche) aber auch durch bessere Ermittlungen und internationale Zusammenarbeit der Ermittlungsbehörden.
  8. Bei der Polizei muss es Ansprechpartner geben, die für das Thema sensibilisiert sind.
  9. Frauen, die von sexueller Ausbeutung bedroht sind, müssen sofort Schutz bekommen, zum Beispiel einen Platz im Frauenhaus. Das ist in Bayern bisher meist nur Opfern häuslicher Gewalt vorbehalten.

Um zu verhindern, dass Frauen aus Angst vor Abschiebung sexuell ausgebeutet werden, sollten Opfer von Zwangsprostitution und Menschenhandel, die sich illegal in Deutschland aufhalten, einen umfassenden Schutz vor Abschiebung genießen. Der Freistaat muss dazu alle Ermessensspielräume ausnutzen und die Opfer schützen. Bisher sind Opfer nur dann vor Abschiebung geschützt, wenn sie im Prozess aussagen. Danach werden sie abgeschoben.

Medienbericht zum Thema:

FDP: Bayern soll mehr für Sexarbeiterinnen tun (Süddeutsche Zeitung, 29. August 2022