Hessel im Interview: Stellen private Altersvorsorge auf neue Füße

Im Interview mit den Zeitungen des Schwäbischen Verlags geht FDP-Landesvorsitzende Katja Hessel auf die konkreten Neuerungen bei der privaten Altersvorsorge ein. Im Mittelpunkt der Reform steht das Ziel, die Chancen des Kapitalmarkts für den langfristigen Vermögensaufbau der Bürger nutzbarer zu machen. Gelingen soll das, so die Finanzpolitikerin, unter anderem durch nachgelagerte Besteuerung, Investment-Förderungen für verschiedene Anlageklassen und flexible Auszahlungsmodelle im Rentenalter.

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Bayerns FDP-Vorsitzende und Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Katja Hessel MdB.

Das Interview im Wortlaut:

Carsten Korfmacher (Schwäbische Zeitung / Nordkurier): Was steckt hinter der Reform der privaten Altersvorsorge, die Sie Anfang des Monats auf den Weg gebracht haben?

Katja Hessel: Unser Ziel war, die private Altersvorsorge in Deutschland auf neue Füße zu stellen. Das Rentensystem gerät zunehmend unter Druck und es wird immer wichtiger, dass Bürger auch privat vorsorgen. Bisher war der Königsweg dafür die Riester-Rente. Riester-Verträge sind aber Garantieprodukte, das heißt, dass ein Versicherer den Sparern eine Mindestauszahlsumme verspricht. Deswegen müssen die Anbieter die Kundengelder sehr risikoarm anlegen, was die Rendite deutlich schmälert. Wenn man noch die Kosten abzieht, dann kommt, verglichen mit anderen Anlageklassen wie Aktien oder ETFs, einfach nicht viel dabei herum. Deswegen wollten wir mit der Reform den Menschen in Deutschland auch neue Risikoklassen zugänglich machen, die höhere Erträge versprechen, aber trotzdem sicher sind. Und all das wird staatlich gefördert und nachgelagert besteuert.

Nehmen Sie uns mal Schritt für Schritt mit: Wie genau funktioniert das mit der Förderung und was bedeutet es konkret, wenn etwas nachgelagert besteuert wird?

Zunächst eröffnen Sie ein Depot bei einem zertifizierten Anbieter. In dieses Depot können Sie dann Aktien, ETFs oder Staatsanleihen kaufen, in einer beliebigen Kombination. Sie können pro Jahr bis zu 3.0000 Euro in dieses Depot zahlen, und für jeden Euro, den Sie einzahlen, legt der Staat noch mal 20 Cent drauf, also zusätzlich bis zu 600 Euro pro Jahr. Das ist der erste Teil der Förderung. Der zweite ist die nachgelagerte Besteuerung: In der Ansparphase zahlen Sie innerhalb des Depots nämlich keine Steuern. Wenn Sie also Ausschüttungen erhalten oder durch Verkäufe Gewinne erzielen, streichen Sie diese steuerfrei ein, solange der Erlös im Depot verbleibt. Versteuern müssen Sie die Summe erst, wenn die Auszahlphase beginnt, also im Rentenalter.

Ursprünglich hieß es, das Altersvorsorgedepot sollte komplett steuerfrei sein. Das ist jetzt also nicht mehr der Fall?

Richtig, strikt genommen ist das Depot nicht steuerfrei, sondern wird nachgelagert besteuert. Aber das halte ich für sehr fair. Im Berufsleben haben die meisten Menschen eine sehr hohe Steuerlast, im Rentenalter sinkt der Steuersatz, sodass die Besteuerung nicht mehr so stark ins Gewicht fällt. Außerdem kann man den Steuersatz im Rentenalter selbst ein bisschen kontrollieren, indem man einen für sich passenden Auszahlplan wählt. Uns war sehr wichtig, dass die Bürger von der Steuerfreiheit in der Ansparphase profitieren. Denn dadurch kommt der Zinseszinseffekt wirklich zur Geltung. Wer 3.000 Euro pro Jahr ins Depot zahlt, kann es mit der vollen Förderung und bei günstiger Kursentwicklung nach 40 Jahren sogar zum Millionär bringen, haben Sachverständige berechnet.

Das wären 250 Euro pro Monat über 40 Jahre. Das kann sich nicht jeder leisten. Was tun Sie für Geringverdiener, Berufsanfänger oder junge Familien?

Die Reform sieht vor, dass all diese Gruppen zusätzliche Förderungen erhalten. Zum Beispiel steigt die Förderung bei Eltern mit einem Kind von 20 auf 45 Cent, Geringverdiener bekommen eine Bonuszulage von 175 Euro. Insbesondere die zusätzliche Förderung von 200 Euro für drei Jahre für Berufsanfänger bis zum Alter von 25 Jahren ist mir wichtig. Denn das Altersvorsorgedepot soll die Menschen auch an den Kapitalmarkt heranführen, sodass sie lernen, gute finanzielle Entscheidungen eigenverantwortlich zu treffen. Das ist wie beim Sport: Besser heute anfangen, als immer auf morgen zu verschieben.

Wie sieht es mit Selbstständigen aus? Die fallen schon in der gesetzlichen Rente durchs Raster, ein gefördertes Altersvorsorgedepot bekommen sie auch nicht. Woran liegt das?

Noch nicht. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die private Altersvorsorge auch auf Selbstständige ausweiten werden. Allerdings glaube ich, dass das Konzept für Selbstständige etwas anders aussehen sollte als für Angestellte. Zum Beispiel könnte man die private Altersvorsorge für Selbstständige steuerlich noch attraktiver machen, dafür aber auf die staatliche Förderung verzichten. Das diskutieren wir derzeit.

Kommen wir zur Auszahlung. Ich habe 40 Jahre eingezahlt und bin nach Ihren Aussagen jetzt Millionär. Kann ich die Summe direkt verprassen?

Sie haben in jedem Fall sehr viel mehr Flexibilität als bei der gesetzlichen Rente, die ja als Leibrente bis zum Lebensende vorgesehen ist. Wenn Sie wollen, können Sie sich Ihre private Altersvorsorge als monatliche Rente bis zum Lebensende auszahlen lassen. Sie können aber auch einen individuellen Auszahlplan vereinbaren. Zum Beispiel: Eine größere Summe als Einmalzahlung direkt zum Renteneintritt und dann jeden Monat eine bestimmte Summe bis zum 85. Lebensjahr, die Ihre gesetzliche Rente ergänzt. Wie gesagt: Wir wollen nicht alles vorgeben, die Bürger sollen frei und eigenverantwortlich entscheiden, was sie für richtig halten. Schließlich sieht jeder Lebensentwurf anders aus.

Im Referentenentwurf steht, dass die Rentenzahlungen aus dem Altersvorsorgedepot nicht vererbbar sind. Das kann doch eigentlich nicht sein, oder?

Hier muss man unterscheiden: Wenn eine Leibrente vereinbart ist, dann sind diese Zahlungen tatsächlich nicht vererbbar. Das erklärt sich aber aus der Tatsache, dass eine Leibrente an die Lebenserwartung gekoppelt ist. Wenn Sie besonders alt werden, bekommen Sie schließlich auch mehr raus, als Sie eingezahlt haben. Aber: Sowohl in der Ansparphase als auch bei jedem anderen Auszahlplan gilt diese Regelung nicht. Wenn Sie vor dem Renteneintrittsalter versterben, ist Ihr Depot abzüglich der staatlichen Förderung vererbbar. Und wenn Sie nach Renteneintrittsalter versterben, zum Beispiel mit 70, obwohl Ihr individueller Auszahlplan bis 85 läuft, dann sind die Zahlungen der nächsten 15 Jahre bis zum Ende des Plans ebenfalls vererbbar – aber nicht der Teil der staatlichen Förderung.

Gehen wir bei den Anlageklassen noch etwas mehr ins Detail. Ich kann also Aktien, ETFs und Staatsanleihen in das Depot kaufen. Wie sieht es mit anderen Produkten aus: Gold, Derivate, Bitcoin, andere Kryptos? Gerade junge Leute hätten daran sicherlich Interesse.

Wir wollen erst einmal auf der klassischen Seite bleiben, deswegen ist es anfangs nicht möglich, Derivate oder Kryptowährungen in das Depot zu kaufen. Vielleicht kann man das zukünftig erweitern, persönlich stünde ich dem offen gegenüber. Aber man muss das auch realistisch sehen. Viele Bürger denken nicht, dass ein Wertpapierdepot nicht risikoreich genug ist, sondern dass es zu risikoreich ist. Sprich: Wenn es um die Börse geht, dann denken viele gleich an Spekulanten und an Börsencrashs, nicht an den langfristigen Vermögensaufbau, der zu einem ergiebigen Alterseinkommen führt. Deswegen wird es auch die Möglichkeit geben, dass die Bürger sich nicht selbst für bestimmte Aktien oder ETFs entscheiden müssen, sondern eines von mehreren Referenzdepots auswählen, abhängig von ihrer Risikobereitschaft. Da ist dann vorgegeben, was gekauft wird. Vielleicht geht so im Laufe der Zeit die Angst weg. Und wenn wir mit dem Altersvorsorgedepot ein Umdenken in der Gesellschaft erreichen können, dann ist viel gewonnen.

Was muss sich Ihrer Meinung nach noch ändern, damit die Aktienkultur in Deutschland generell gestärkt wird?

Ein Hebel ist sicherlich die Steuerfreigrenze für Kapitalerträge wie Dividenden, Zinsen oder Gewinne aus Wertpapiergeschäften. Wir haben den Sparerpauschbetrag bereits erhöht, aber da ist definitiv noch Luft nach oben. Und noch etwas finde ich sehr wichtig: die Wiedereinführung einer Spekulationsfrist für Wertpapiere. Wer eine Aktie Jahre oder Jahrzehnte für die Altersvorsorge hält, der ist kein Spekulant, also sollte er auch nicht wie einer besteuert werden. Ich könnte mir eine Haltefrist von zwei Jahren vorstellen, nach der Erlöse aus Wertpapiergeschäften steuerfrei werden.

Das Interview können Sie auch hier und hier nachlesen.