Parteitagsrede Martin Hagen

Die FDP Bayern veranstaltet vom 28. bis 29. Juni ihren Landesparteitag in Amberg. Im Mittelpunkt steht die Neuwahl des Vorstands. Der scheidende Landesvorsitzende Martin Hagen hielt am Samstag folgende Rede:

„Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde, heute endet eine Amtszeit des Landesvorstands, die natürlich in jeder Hinsicht überschattet wurde vom parlamentarischen Aus der Freien Demokraten auf Bundesebene. Der 23. Februar 2025 ist eine Zäsur für den organisierten Liberalismus in Deutschland. Zum zweiten Mal in unserer Parteigeschichte sind wir außerparlamentarische Opposition. Unsere FDP muss sich jetzt inhaltlich wie personell erneuern und mit neuer Kraft den steinigen Wiederaufstieg angehen.

Aus diesem Grund hat der Landesvorstand am Montag nach der Bundestagswahl beschlossen, den regulären Wahlparteitag von November auf Ende Juni vorzuziehen. Und aus diesem Grund haben Katja Hessel und ich auch beschlossen, nicht erneut als Landesvorsitzende zu kandidieren. Auch wenn die Niederlage vom 23.2. – deren Ursachen auf Bundesebene noch einer tiefgreifenden Analyse harren, die Mandatsträgerkonferenz, die morgen Nachmittag in Mainz beginnt, wird sich damit befassen – auch wenn diese Niederlage die Amtszeit des Landesvorstands überschattet, so lässt sie sich natürlich nicht darauf reduzieren und Zweck eines Rechenschaftsberichtes ist es ja, ein umfassendes und differenziertes Resümee zu ziehen – das möchte ich jetzt mit Euch tun.

Am Anfang der Amtszeit stand die Entscheidung der Delegierten, zum ersten Mal in der Geschichte der FDP in einem Landesverband eine Doppelspitze zu wählen. Diese Möglichkeit hatten wir gemeinsam in unserer Satzung geschaffen, explizit als Option und nicht als Muss. Und auch wenn in der jetzt folgenden Amtszeit wieder eine Person alleine unsere bayerische FDP führen wird, weil das eben immer von Fall zu Fall entschieden werden muss, in manchen Konstellationen passend ist und in manchen nicht, kann ich sagen: Das Experiment der Doppelspitze hat sich aus meiner Sicht absolut bewährt und ich gehe jede Wette ein, dass andere Landesverbände und vielleicht ja auch der Bundesverband irgendwann unserem bayerischen Beispiel folgen werden. Liebe Katja, ich danke Dir ganz herzlich für die hervorragende, vertrauensvolle und freundschaftliche Zusammenarbeit. Es war eine Pionierleistung – wir waren die ersten, aber wir werden sicher nicht die letzten gewesen sein.

In meiner Vorstellung zur Vorstandswahl im November 2023 hatte ich vier konkrete Projekte angekündigt: 

Erstens eine Reform der Landesfachausschüsse. Um die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder an der Arbeit der LFAs, ihre thematische Gliederung, ihre Arbeitsfähigkeit und ihre Anbindung an den Vorstand zu verbessern. Dazu hat der Vorstand auf seiner Klausurtagung im Januar 2024 ein Konzept erarbeitet und in dieser Amtszeit erfolgreich umgesetzt. Ich weiß, dass gerade die thematische Neuordnung für viele LFAs ein wichtiges Anliegen war und ich glaube, wir sind damit jetzt sehr gut aufgestellt. Die Landesfachausschüsse sind die innerparteilichen Think Tanks der FDP und gerade in APO-Zeiten von herausragender Bedeutung.

Zweitens hatte ich eine umfassende und datengestützte Analyse der Landtagswahl mithilfe externer Experten angekündigt. Auch das sind wir direkt auf unserer Klausurtagung im Januar 2024 angegangen. Wir haben uns intensiv und selbstkritisch mit dem Wahlkampf und dem Wahlergebnis beschäftigt. Tatsächlich haben uns die Experten aus Politikwissenschaft und Journalismus aber vor allem eines gespiegelt: Nämlich, dass die Ursachen der Wahlniederlage vom Herbst 2023 ganz überwiegend in Berlin zu suchen waren. Der bayerischen FDP wurde eine durchweg gute Arbeit attestiert. Das mag einerseits tröstlich sein, anderseits frustriert es mich, wie stark Erfolg und Misserfolg der FDP im Land vom Bund abhängen. Ich wünsche mir, dass wir irgendwann auch mal gegen einen Bundestrend Wahlen im Freistaat gewinnen können.

Das dritte Projekt war die Europawahl 2024. Bei der Listenaufstellung konnten wir unseren bayerischen Spitzenkandidaten auf Platz 7 platzieren, im Vergleich zu Platz 11 bei der Wahl zuvor. Und während wir bundesweit im Vergleich zur letzten Europawahl 0,2 Prozent verloren haben, konnten wir in Bayern unser Ergebnis um 0,5 Prozent verbessern. Ich finde es sehr schade, dass es für dich, lieber Phil, diesmal trotzdem nicht gereicht hat. Du hättest der Brüsseler Politik gutgetan und ich bin überzeugt, dass Du noch eine große politische Karriere vor Dir hast.

Das vierte Projekt war die Vorbereitung der Kommunalwahl. Hier können wir, insbesondere aufgrund der Arbeit von Karsten Klein, dem kommenden Vorstand ein gut bestelltes Feld übergeben. Morgen werden wir ja die inhaltlichen Leitlinien für die Kommunalwahl verabschieden. Und es ist uns in dieser Amtszeit sogar gelungen, dass die bayerische FDP ersten Mal seit 28 Jahren wieder einen Landrat stellt – dank des Wechsels von Peter von der Grün. Schön, dass Du bei uns bist, lieber Peter. Wir haben in der jetzt endenden Amtszeit vier Landesparteitage abgehalten sowie eine Landesvertreterversammlung. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir die Rede von Talya Lador-Fresher, der Generalkonsulin von Israel, die vor einem Jahr auf dem Parteitag hier in Amberg zu uns gesprochen hat. Sie war – ganz ähnlich wie in der Amtszeit davor beim Parteitag in Hirschaid der ukrainische Generalkonsul Yuri Yarmilko – sehr gerührt und dankbar für die enge Verbundenheit der bayerischen FDP mit ihrem von Krieg geplagten Volk. Auf unsere Solidarität und auf die engen und freundschaftlichen Kontakte, die wir in den vergangenen Jahren zu den unterschiedlichsten konsularischen Vertretern befreundeter Staaten in Bayern aufgebaut haben, bin ich sehr stolz.

Zu guter Letzt: Es ist uns in dieser Amtszeit gelungen, erstmals seit 12 Jahren wieder eine bayerische Vertreterin im Präsidium der Bundespartei durchzusetzen. Herzlichen Glückwunsch, liebe Susanne Seehofer, Du bist jetzt unsere Stimme in Berlin und ich freue mich wahnsinnig, dass uns das geglückt ist. Ihr seht also, der Landesvorstand war auch jenseits des Bundestagswahlkampfes alles andere als untätig. Ich möchte mich, auch im Namen meiner Co-Vorsitzenden Katja Hessel, ganz herzlich bei den Kolleginnen und Kollegen bedanken, die in dieser Amtsperiode im Landesvorstand mit uns zusammengearbeitet haben: 

Unserem großartigen Generalsekretär Christoph Skutella. Unseren Stellvertretern: Karsten Klein, Lukas Köhler und Ulrich Lechte. Unserer immer zuverlässigen Schatzmeisterin Kristine Lütke. Ich danke auch allen anderen Mitgliedern des Präsidiums und des Landesvorstands sowie den Bezirksvorsitzenden und den Vorsitzenden der kooptierten Vorfeldorganisationen für die gute Zusammenarbeit. Und ich bedanke mich ganz herzlich bei den Mitarbeitern unserer Landesgeschäftsstelle, stellvertretend bei unserem HGF Felix Meyer. Ganz persönlich möchte ich mich jetzt, wo meine Zeit als Landesvorsitzender nach zwei Perioden endet, auch bei meinem Vorgänger bedanken. Lieber Daniel Föst, was Du in den acht Jahren bevor ich den Landesvorsitz von Dir übernommen habe, für diese Partei geleistet hast, zuerst als Generalsekretär und dann als Landesvorsitzender, verdient höchste Anerkennung. Danke für Deine erfolgreiche Arbeit und für das freundschaftliche Miteinander, das wir in den unterschiedlichsten Funktionen gepflegt haben. Und ich möchte mich auch noch bei Albert Duin bedanken. Dafür, dass wir in den letzten sieben Jahren dreimal als Kontrahenten in den Ring gestiegen sind. Es ist ja auch immer schöner, sich im Wettbewerb zu behaupten, als nur aus Mangel an Alternativen in ein Amt gewählt zu werden. Vor allem aber dafür, dass wir beide diesen Ring, in den wir dreimal gestiegen sind, nach harten, aber fairen Auseinandersetzungen auch immer wieder als Freunde verlassen haben. Lieber Albert, auch Du hast Deinen legitimen Platz in der Ahnenreihe dieses Landesverbandes.

So, das war’s mit dem Rechenschaftsbericht und mit den Dankesworten. Jetzt möchte ich aber die Gelegenheit auch noch nutzten, ein letztes Mal als Landesvorsitzender ein paar inhaltliche Gedanken mit Euch zu teilen.

Liebe Parteifreundinnen und Parteifreunde,

Deutschland befindet sich im dritten Jahr der Rezession – eine so lange Phase ohne Wirtschaftswachstum hat es in der bundesrepublikanischen Geschichte noch nie gegeben. Und obwohl die Union in der Opposition immer wie Ludwig Erhard klang, macht sie jetzt in der Regierung wieder Politik à la Angela Merkel: Anstatt die strukturellen Probleme unseres Landes zu lösen, deckt man sie mit viel Geld zu. Ich glaube, wir müssten ernsthaft daran arbeiten, dieses Land von Grund auf zu reformieren und das Geschäftsmodell Deutschlands zu erneuern. Ich hatte vor einem Monat ein Erlebnis, das mir das nochmal ganz deutlich vor Augen geführt hat: eine Reise nach China. Ich war da zu einem Kongress eingeladen, um über die berufliche Bildung in Deutschland zu sprechen und junge Chinesen für eine Ausbildung bei uns zu begeistern.

Drei Tage vor meiner Abreise hatte ich bei mir daheim in Vaterstetten Gemeinderatssitzung. Auf der Tagesordnung stand unter anderem ein Bauprojekt: Unser Sportverein wollte auf dem Gelände neben seinen Freiplätzen eine Tennishalle bauen. Das wird aber nichts. Warum? Weil irgendjemand auf diesem Grundstück eine Haselmaus und eine Zauneidechse gesichtet hat. Drei Tage später fliege ich dann nach China und sehe, wie in diesem vor wenigen Jahrzehnten noch bettelarmen Entwicklungsland hochmoderne Geschäftsviertel und Industriezentren aus dem Boden gestampft werden. Hochhäuser mit glänzenden Glasfassaden, vollautomatisierte Fabriken, Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge, und alles innerhalb kürzester Zeit.

Was glaubt Ihr, wie die Chinesen gucken, wenn ich denen von unseren Vaterstettener Mäusen und Eidechsen erzähle? Oder von den ganzen anderen Tierchen, die bei uns regelmäßig Bauvorhaben blockieren, die ungleich wichtiger sind als eine Tennishalle: Bahnhöfe, wie der Juchtenkäfer in Stuttgart. Wohnungen, wie der Wachtelkönig in Hamburg. Brücken, wie der Biber in Dresden. Oder Krankenhäuser, wie der Ziegenmelker in Tübingen. Was meint ihr wie die Chinesen gucken, wenn man ihnen erzählt, dass öffentliche Bauprojekte bei uns teilweise Jahrzehnte dauern? Wie würden die jungen Schulabsolventen, denen ich auf dem Kongress begegnet bin, reagieren, wenn man ihnen berichtet, dass Berufseinsteiger in Deutschland im Bewerbungsgespräch heutzutage als erstes nach der Work-Life-Balance fragen, wie viele Tage sie Homeoffice machen können und wann sie ihr erstes Sabbatical einlegen dürfen? Und was denkt man sich in China, oder in irgendeinem beliebigen anderen Land, wenn man erklärt, was wir hier in Deutschland mit unserer Energiepolitik treiben – dass wir funktionierende Kraftwerke abschalten, weil wir glauben, mit Wind und Sonne allein ein Industrieland versorgen zu können. Da schüttelt die ganze Welt nur den Kopf über uns.  Allein die Rechenzentren dieser Welt verbrauchen heute schon so viel Strom wie ganz Deutschland insgesamt – und dieser Bedarf wird sich durch den Boom von KI bis zum Ende des Jahrzehnts verdoppeln. Wir Deutsche müssen angesichts der Dynamik in anderen Regionen dieser Welt ganz dringend begreifen, dass unser Wohlstand nicht in Stein gemeißelt ist. Wir müssen aufwachen und uns auf das besinnen, was uns mal erfolgreich gemacht hat.

Wir müssen bürokratische Bremsen lösen und regulatorische Fesseln sprengen. Wir müssen wieder Lust auf Leistung wecken, anstatt die Leistungsträger mit hohen Steuern und Abgaben aus dem Land zu treiben. Wir müssen wieder Begeisterung wecken für technologischen Fortschritt und Innovation. Unser Land braucht einen marktwirtschaftlichen Befreiungsschlag. Das muss eine Kernaufgabe der FDP in den kommenden Jahren sein, liebe Freundinnen und Freunde. Aber natürlich ist Liberalismus weit mehr als das. Die FDP muss die Partei des wirtschaftlichen, aber genauso auch des politischen und gesellschaftlichen Liberalismus sein – Ihr wisst, dass mir das immer ein Herzensanliegen war und ist.

Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung, die maßgeblich beeinflusst ist von der Philosophie des liberalen Urvaters John Locke, spricht von Life, Liberty and the Pursuit of Happiness als unveräußerliche Rechte des Bürgers. Leben, Freiheit und das Streben nach Glück – ich finde das eine wunderbare ganzheitlich liberale Agenda. Mit dem Streben nach Glück ist nicht das kollektive Streben nach einem höheren, von einer übergeordneten moralischen Instanz vorgegebenen Ziel gemeint. Das unterscheidet die Liberalen von politischen Heilslehren links wie rechts. Sondern es meint das individuelle Streben nach dem, was der einzelne Bürger als seine Vorstellung vom Glück versteht. Meine Vorstellung vom Glück kann eine andere sein als Deine, und als Liberale wollen wir jedem ermöglichen, seinen individuellen Weg zu gehen, oder wie es der alte Fritz gesagt hat: nach seiner Façon selig zu werden. In dem „Streben nach Glück“ ist meines Erachtens auch etwas angelegt, was dem Liberalismus eine soziale Dimension verleiht: Nämlich die Chance jedes Einzelnen zum sozialen Aufstieg. In der liberalen, bürgerlichen Gesellschaft hängt die Position von Menschen (anders als in früheren Gesellschaftsordnungen) eben nicht mehr von Stand und Herkunft ab, sondern von ihrer Qualifikation, ihrer Leistungsbereitschaft und ihrem freien Willen.

Das ist das Ideal. Und um dieses Ideal auch in der Praxis zu verwirklichen, müssen wir Liberale weiter für die Bildungschancen aller Kinder kämpfen und für ein Sozialsystem, das dazu animiert und befähigt, sich durch eigene Leistung aus der Bedürftigkeit zu befreien. Liberale Politik – das ist für mich ganz klar, liebe Freunde – ist immer automatisch auch soziale Politik. Vor einigen Jahren konnte man öfter lesen: Der organisierte Liberalismus habe sich überflüssig gemacht, weil sich seine Weltanschauung ja vollumfänglich durchgesetzt habe. Die zentralen liberalen Prinzipien seien in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft verwirklicht – Mission abgeschlossen, damit brauche es jetzt keine liberalen Parteien mehr.

Was für ein Irrtum! Heute werden die zentralen liberalen Prinzipien ganz offensiv herausgefordert. Nicht nur durch autoritäre Staaten wie Putins Russland. Nicht nur durch aggressive Ideologien wie den Islamismus. Sondern auch durch politische Strömungen bei uns im Westen. Wir sehen das zum Beispiel aktuell in den USA. Patrick Deneen, ein Vordenker der amerikanischen Rechten, beschreibt den gesellschaftlichen wie auch den wirtschaftlichen Liberalismus als Ideologie, die das Gemeinwesens zersetzt und damit ihre eigenen Grundlagen vernichtet. Eine Analyse, die der Liberalismuskritik von Links übrigens in vielerlei Hinsicht ähnelt. Deneen plädiert für einen Regime Change, für einen postliberalen „Aristopopulismus“, eine Herrschaft der Massen, aber angeleitet von konservativen, tugendhaften, christlichen Eliten.

Wir Liberale sollten uns mit solchen Thesen gründlich auseinanderzusetzen, um für die intellektuelle Auseinandersetzung gewappnet zu sein. Die liberale Weltanschauung hat sich nicht endgültig durchgesetzt, wie Francis Fukuyama Anfang der 90er glaubte – sie muss fortwährend verteidigt, immer wieder neu begründet und im Lichte neuer Herausforderungen auch weiterentwickelt werden. Der Postliberale Patrick Deneen ist übrigens einer der wichtigsten Ideengeber von US-Vizepräsident JD Vance. Deswegen sind das auch nicht einfach abstrakte, akademische Debatten, sondern sie haben Einfluss auf die reale Politik. Vance hat uns Europäern ja zu Jahresbeginn auf der Münchner Sicherheitskonferenz mit seiner Rede zu Democracy und Freedom of Speech ordentlich einen eingeschenkt – und entsprechend heftige Gegenreaktionen provoziert.

Ich meine: Wir brauchen ausgerechnet von der US-Regierung, deren Präsident nach seiner Abwahl vor viereinhalb Jahren den Versuch eines Staatsstreichs unternommen hat, keine Nachhilfe in Sachen Demokratie. Wir brauchen von der Administration, die Journalisten die Akkreditierung zum Oval Office entzieht, weil sie den Golf von Mexiko weiterhin „Gulf of Mexico“ nennen und nicht „Gulf of America“, keine Belehrungen in Sachen Pressefreiheit. Da hat jemand ganz offensichtlich aus dem Glashaus mit Steinen geworfen. Aber anstatt die Rede von Vance nur reflexhaft zurückzuweisen, sollten wir Europäer sie schon zum Anlass nehmen für eine kritische Selbstreflexion. Und erkennen, dass es jedenfalls mit Blick auf die Meinungsfreiheit hierzulande tatsächlich Fehlentwicklungen gibt, die gerade wir als Liberale nicht ignorieren dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat 1959 in einem Urteil unterstrichen: Die Meinungsfreiheit ist die „Grundlage jeder Freiheit überhaupt“. Aber dieses Grundrecht steht aktuell unter Druck.

Die Hälfte der Menschen im Land hat das Gefühl, ihre Meinung nicht mehr frei äußern zu können. Ein Bauingenieur musste letztes Jahr eine 30-tägige Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, weil er Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig als „Märchenerzählerin“ bezeichnet hat. Das Amtsgericht Bamberg hat kürzlich einen Journalisten zu sieben Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er ein polemisches Meme über Nancy Faeser gepostet hat. Von den Grünen bis hin zur CDU hören wir den Ruf nach einer immer schärferen Regulierung von Sozialen Netzwerken. NGOs, die staatlich legitimiert als Wahrheitswächter oder Hinweisgeber fungieren, üben Macht über den öffentlichen Diskurs aus. Und an Hochschulen werden Vorträge gecancelt, weil einige studentische Aktivisten nicht willens sind, Positionen zu ertragen, die sie nicht teilen. Mit solchen Entwicklungen kann sich eine Partei der Freiheit nicht abfinden und schon gar nicht anfreunden, liebe Freundinnen und Freunde!

Ich habe vor dieser Problematik schon einmal auf einem Landesparteitag gewarnt: Nämlich vor dreieinhalb Jahren, in meiner Antrittsrede zum Landesvorsitzenden. Damals habe ich über eine „illiberale Linke“ gesprochen, die versucht, den Korridor dessen, was gesagt werden darf, immer weiter einzuschränken, einen gesellschaftlichen Konformitätsdruck zu erzeugen und kontroverse Positionen aus der Öffentlichkeit auszuschließen. Und ich habe in meiner damaligen Rede den großen liberalen Philosophen Karl Popper zitiert, der gesagt hat: „Der Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.“ Wer, wenn nicht wir Freie Demokraten, sollten das zu ihrem Thema machen? Mündige Bürger brauchen keine Zensur und kein betreutes Denken. Nur durch geistige Freiheit, durch einen lebendigen Pluralismus und offenen Diskurs kann Fortschritt gedeihen, liebe Freundinnen und Freunde.

Einen offenen, pluralistischen Diskurs brauchen wir auch im innerparteilichen Miteinander. Die FDP ist keine Partei, in der oben jemand etwas vorbetet und unten alle nicken. Gott sei Dank, einer solchen Partei würde ich nie angehören wollen. Die FDP muss eine Partei sein, die Debatten zulässt. Die Meinungsvielfalt als Bereicherung begreift. In der man sich in der Sache streiten und danach gemeinsam ein Bier trinken kann. In der fair und mit offenem Visier um die beste liberale Lösung gerungen wird. Am Ende entscheidet die Mehrheit und diese Entscheidung respektiert man dann, auch wenn man persönlich vielleicht eine andere getroffen hätte. So geht innerverbandliche Demokratie. Das ist meine FDP.

Und mit der innerverbandlichen Demokratie sind wir auch beim Stichwort. Lieber Michael, Du gehst heute bei der Wahl zum Landesvorsitzenden ins Rennen als der Wunschkandidat der Parteibasis. 46 Prozent im ersten Wahlgang gegen mehrere Mitbewerber, fast 60 Prozent dann in der Stichwahl, das ist ein deutliches Votum unserer Mitglieder und eine starke Legitimation für einen neuen Landesvorsitzenden. Ganz persönlich finde ich es ja auch irgendwie passend, dass meine Zeit in der ersten Reihe der bayerischen FDP mit so einem basisdemokratischen Akt zu Ende geht. Denn mit einem basisdemokratischen Akt hat meine politische Laufbahn ja vor gut sieben Jahren auch begonnen. Die erste Urwahl in der Geschichte der FDP, damals um die Spitzenkandidatur zur Landtagswahl 2018.

Was wir dann gemeinsam erreicht haben, war einfach großartig. Und für die Gelegenheit, das mit Euch tun zu können, werde ich immer dankbar sein: Ein frischer und frecher Wahlkampf aus der APO heraus. Der Einzug in den Bayerischen Landtag, den uns viele damals nicht zugetraut hatten. Fünf Jahre als Vorsitzender einer Fraktion, die sich über die Parteigrenzen hinweg großen Respekt und Anerkennung erarbeitet hat. Die Etablierung unserer FDP im vorpolitischen Raum, durch unermüdliche Präsenz bei Verbänden, bei gesellschaftlichen und kulturellen Events. Eine mediale Schlagkraft, um die uns, wie mal in der SZ zu lesen war, größere Fraktionen regelmäßig beneidet haben. Unser glasklarer Kurs in der Coronapolitik, als wir die Bürgerrechte und die Interessen von Kindern und Jugendlichen gegen eine Staatsregierung verteidigt haben, die jedes Augenmaß verloren hatte.

Wäre zum Jahreswechsel 2021/2022 Landtagswahl gewesen, hätte die bayerische FDP laut Umfragen das beste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Stattdessen sind wir zwei Jahre später im Zuge eines bundesweiten Niedergangs, dem sich bis zum Schluss kein Landesverband entziehen konnte, an der 5-Prozent-Hürde gescheitert. Und diesen Februar dann auch noch aus dem Bundestag geflogen. Die FDP ist jetzt wieder APO – in Bayern und im Bund. Eine Zeitung hat mich kürzlich gefragt, ob man da nicht am Wähler zweifelt. Meine Antwort ist: nein. Denn in einer Demokratie hat der Wähler auf seine Weise immer recht. Auch wenn man seine Entscheidungen nicht gut findet. Wir müssen uns an die eigene Nase fassen und in den kommenden Jahren das verloren gegangene Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger zurückzugewinnen.

Liebe Freundinnen und Freunde, in diesen letzten sieben Jahren habt Ihr mich dreimal auserkoren, unsere Partei in Wahlkämpfen als Spitzenkandidat anzuführen. Ihr habt fünf Jahre lang meine Arbeit im Landtag unterstützt. Ihr habt mich dreimal als Beisitzer in den Bundesvorstand geschickt und zweimal zum Vorsitzenden dieses großartigen Landesverbandes gewählt. Auch, wenn am Ende diese bitteren Niederlagen standen, kann ich sagen: Ich habe immer alles für unseren gemeinsamen Erfolg gegeben. Ich bin stolz auf das, was uns gemeinsam gelungen ist. Ich wünschte, wir hätten das Blatt wenden können, wo es uns nicht gelungen ist.

Ich bin dankbar für diese sieben Jahre, in denen ich in unterschiedlichen Funktionen in der ersten Reihe der bayerischen Liberalen wirken durfte. Und ich denke sehr gern zurück an die unzähligen Begegnungen mit Parteifreunden in allen Ecken unseres schönen Bundeslandes. Es war mir eine Ehre und eine Freude. Jetzt ist es Zeit, andere ans Ruder zu lassen. Dem neuen Vorstand und uns allen gemeinsam wünsche ich von Herzen viel Erfolg. Denn es braucht die Liberalen. Auch in Zukunft.“

    Pressefotos (Bildnachweis: FDP Bayern)