Keine Gesichtserkennung an Bahnhöfen – für echte Sicherheit statt Überwachungsfantasien

Die Freien Demokraten Bayern sprechen sich klar gegen den Vorstoß der CDU/CSU-Bundestagsfraktion aus, an Bahnhöfen bundesweit Videoüberwachung mit automatisierter Gesichtserkennung auszubauen. Dieses Vorhaben stellt einen massiven Eingriff in die Bürgerrechte dar, ist sicherheitspolitisch ineffektiv, technologisch fehleranfällig und widerspricht in weiten Teilen geltendem europäischen Recht.

Statt auf anlasslose Massenüberwachung unbescholtener Bürgerinnen und Bürger zu setzen und die informationelle Selbstbestimmung zu gefährden, fordern wir ein Sicherheitssystem mit Augenmaß, das gezielt wirkt und zugleich die Freiheitsrechte wahrt.

Wir fordern daher:

I. Keine flächendeckende Gesichtserkennung im öffentlichen Raum

  1. EU AI Act schützt Freiheitsrechte – und setzt klare Grenzen

    Der Einsatz von Live-Facial-Recognition (Realtime Remote Biometric Identification) sowie das massenhafte Sammeln biometrischer Daten durch sogenanntes Untargeted Scraping sind laut EU AI Act grundsätzlich verboten. Zulässig ist Gesichtserkennung im öffentlichen Raum nur in engsten Ausnahmefällen – etwa bei akuter Terrorgefahr oder zur Suche nach vermissten Personen – und nur auf richterliche Anordnung. Eine flächendeckende Überwachung aller Bahnhöfe lässt sich daraus weder rechtlich noch politisch ableiten. Wir lehnen auch die anlasslose ‚Post-Identifikation‘ – also die automatisierte, generelle KI-gestützte biometrische Auswertung im Nachhinein – als nachgelagerte Maßnahme ab: Sie bringt keinen echten Sicherheitsgewinn, untergräbt jedoch das Vertrauen in einen freiheitlichen Rechtsstaat.
  2. Keine Ausweitungen ohne fundierte Wirksamkeitsprüfung

    Videoüberwachung darf nicht zum politischen Placebo verkommen. Vor jeder Ausweitung ist eine belastbare, fundierte Analyse der Wirksamkeit hinsichtlich der Verhinderung und Aufklärung von Straftaten vorzulegen. Zudem ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren: Wo Sicherheit und eine funktionsfähige Strafverfolgung auch ohne Videoüberwachung gewährleistet werden kann, ist zuerst auf andere Mittel zurückzugreifen.

 II. Sicherheit durch Präsenz – nicht durch permanente Überwachung

Statt in Überwachungstechnologie zu investieren, setzen wir auf sichtbare und wirksame Sicherheitsstrukturen vor Ort:

  1. Mehr sichtbare Sicherheitskräfte

    Wir fordern eine signifikante Erhöhung der Präsenz von Polizei und DB Sicherheit, insbesondere zu kritischen Tageszeiten (Wochenende, Nachtstunden, Pendlerzeiten früh morgens und abends in den Wintermonaten).
  2. Bestreifung auch kleinerer und ländlicher Bahnhöfe

    Der Fokus darf nicht allein auf Großstädten liegen. Auch in ländlichen Regionen sowie Mittel- und Kleinstädten müssen Bahnhöfe zumindest während der Betriebszeiten regelmäßig durch Sicherheitskräfte bestreift werden. Außerhalb der Betriebszeiten kann die Präsenz von Sicherheitspersonal insbesondere als Reaktion auf Beschwerden und zu kritischen Zeiten als Maßnahme zur Verbesserung der Fahrgastsicherheit dienen.
  3. Koordinierte Sicherheitskonzepte – Quattro-Streifen auch in Bayern

    Nach dem Hamburger Vorbild setzen wir uns für den bayernweiten Aufbau sogenannter Quattro-Streifen ein: gemeinsame Fußstreifen von Landespolizei, Bundespolizei, DB Sicherheit und – wo vorhanden – kommunalen Ordnungsdiensten bzw. U-Bahn-Wachen.
  4. Anpassung bundespolizeilicher Befugnisse

    Sicherheit gewährleistet auch ein gezieltes Vorgehen gegen Personen und Gruppen, die wiederholt durch Straftaten und Ordnungswidrigkeiten auffallen oder auf sonstigem Weg das Sicherheitsgefühl der Allgemeinheit beeinträchtigen. Die Bundespolizei soll deshalb über ihre bisherige Befugnis zur Aussprache von Platzverweisen auch längerfristige Aufenthaltsverbote anordnen können. Besonders lang andauernde Aufenthaltsverbote sind unter Richtervorbehalt zu stellen. Die Einhaltung ist durch eine Befugnis zur Ingewahrsamnahme bei beharrlicher Zuwiderhandlung abzusichern.

III. Bahnhöfe sicher und einladend gestalten

Sicherheit entsteht auch durch Aufenthaltsqualität und städtebauliche Intelligenz:

  1. Helle Beleuchtung und kluge Architektur

    Bahnhöfe und deren Umfeld sollen nachts hell beleuchtet sein. Angsträume müssen systematisch beseitigt werden. Die Infrastruktur ist so zu gestalten, dass sich Menschen dort gern und sicher aufhalten. Dazu gehören auch durchdachte Sichtachsen, offene Raumgestaltung und ausreichend soziale Kontrolle durch Nutzungsvielfalt. Belebte Bahnhöfe mit Geschäften, Gastronomie oder Veranstaltungen fördern das Sicherheitsgefühl und schrecken potenzielle Straftäter ab.
  2. Schnelle Instandsetzung und saubere Anlagen

    Verwahrlosung schafft Unsicherheit. Wir fordern höhere Investitionen in die Sauberkeit und Instandhaltung von Bahnhöfen – auch durch bessere Vertragskontrollen der DB InfraGO.
  3. Niedrigschwellige Anlaufstellen, Servicepersonal und digitale Hilferufe

    Sicherheitsgefühl entsteht auch durch direkte Ansprechpartner: Wir fordern mehr Servicekräfte im öffentlichen Raum, etwa in Bahnhofsmissionen, im Kundenservice und auf Bahnsteigen. Zusätzlich sollen digitale Lösungen wie Hilferuf-Apps (wie im Hamburger Pilotprojekt „SafeNow“) flächendeckend realisiert werden, die Reisenden ermöglichen, in unsicheren Situationen schnell Hilfe zu rufen.

IV. Bürgerrechte verteidigen – Datenschutz stärken

  1. Strikter Datenschutz bei bestehender Videoüberwachung

    Wo Videoüberwachung bereits besteht, müssen Löschfristen, Zugriffskontrollen und Transparenzpflichten konsequent durchgesetzt werden. Datensparsamkeit bleibt Grundprinzip staatlichen Handelns.
  1. Keine biometrische Verarbeitung ohne rechtsstaatliche Kontrolle

    Die Erhebung und (insbesondere automatisierte) Verarbeitung biometrischer Daten durch Sicherheitsbehörden darf nur im Rahmen gezielter Gefahrenabwehr oder zur Aufklärung von Straftaten unter strengen rechtsstaatlichen Voraussetzungen und mit richterlicher Genehmigung und turnusmäßiger Kontrolle erfolgen. Eine anlasslose oder flächendeckende Massenverarbeitung ist mit einem freiheitlichen Rechtsstaat unvereinbar – und durch EU-Recht bereits weitgehend ausgeschlossen.

 V. Evaluation statt Expansion

  1. Wissenschaftliche Begleitung von Sicherheitsmaßnahmen

    Wir fordern die regelmäßige Evaluierung bestehender Sicherheitsmaßnahmen an Bahnhöfen – unter Einbeziehung von Kriminologen, Psychologen und zivilgesellschaftlichen Akteuren.
  2. Einbindung von Fahrgästen und Verbänden

    Bei der Gestaltung von Sicherheitskonzepten müssen auch die Perspektiven der Fahrgäste, Verkehrsunternehmen und der Fahrgastverbände stärker berücksichtigt werden.